Sissi
6 Tipps wie du trotz Angst beim Zahnarzt entspannt bleibst
Aktualisiert: 8. Dez. 2020
Erfahre in diesem Artikel, was du von meinen traumatischen Erlebnissen beim Zahnarzt über Angst und Trauma lernen kannst.
Keine Panik
Ich dachte, dass ich meine große Angst vor Zahnärzten schon längst abgelegt hatte. Ich ging schließlich regelmäßig zur Zahnärztin. Es fühlte sich dort nie nach Panik an, als ich am Stuhl saß, eher nach Anspannung und „es ist eh gleich vorbei“. Doch nach einer Zahnentzündung letzten Dezember konnte ich meine Traumatisierung nochmal voll durchleben und es hat mir echt viel über mich und meine Verhaltensmuster gezeigt.

Schreckliche Erfahrungen bei der Zahnärztin in meiner Kindheit
Als Kind gingen meine Familie und ich zur örtlichen Zahnärztin. Diese besaß null Empathie und meinte stets, dass man sicher keine Spritze bräuchte. Egal wie tief eine Füllung sein musste, Spritze gab sie keine und sie bohrte dann so lange weiter, bis sie zufrieden war. Sie reagiert null auf weinen, winken, Hand heben, wegzucken. Das heißt, jeder Besuch bei ihr war eine völlige Auslieferung, die totale Hilflosigkeit. Ich glaube meine Eltern kannten das aus ihrer eigenen Kindheit auch nicht anders. Sie litten mit uns, aber wussten auch keinen anderen Weg. Bis wir dann schließlich zu einem sanfteren Arzt, der weiter weg angesiedelt war, gewechselt sind. Ich weiß nicht mehr, nach wie langer Zeit, aber diese Erfahrungen sitzen mir tief in den Knochen.
Hilflosigkeit
Dieses große Gefühl absolut nichts tun zu können und einfach nur Schmerzen aushalten zu müssen, das kommt bei mir jedes Mal hoch, wenn ich beim Zahnarzt bin. Auch die Tage davor bin ich angespannt, schlecht gelaunt und auch oft recht weinerlich.
Diese Gefühle kommen, trotzdem ich mittlerweile einen wirklich netten Arzt gefunden habe, der immer fragt wie es mir geht und immer darauf hinweist, dass ich jederzeit die Hand heben kann, wenn es mir zu viel ist. Ich liege dann dort auf diesem Zahnarztstuhl und bin am ganzen Körper angespannt und spüre mich immer weniger und weniger.
Verlust vom Körpergefühl
Jetzt beim Schreiben dieses Textes und durch das Reflektieren merke ich, dass das heißt, dass ich beim Zahnarzt abdrifte in einen unkörperlichen Schwebezustand. In der Trauma-Therapie – zum Thema Trauma unten gleich mehr - heißt das dissoziieren. Man spaltet sich von der Wahrnehmung des eigenen Körper ab. Das ist grundsätzlich eine sinnvolle Überlebensstrategie, wenn man einen Unfall hat oder andere Situationen durchlebt, in denen man einfach nicht aus kann und das Spüren des eigenen Körpers zu schmerzhaft oder anders überfordernd wäre.
Bisher dachte ich immer, dass ich beim Zahnarzt einfach abwarte bis es vorbei ist, aber in Wirklichkeit passiert viel mehr. Meine ganze Aufmerksamkeit ist nur mehr bei meinem Kopf sowie meinem Mund. Ich fokussiere nur darauf, ob es jetzt gleich weh tun wird oder nicht. Die Zähne sind der absolut einzige Fokus. Wahrscheinlich könnte man mir das Bein abschneiden und ich würde es nicht einmal merken. So sehr „verliere“ ich meinen Körper in so einer Situation.

Atmen hilft beim Entspannen
Mittlerweile weiß ich, dass ich sehr bewusst darauf achten muss tief zu atmen, weil mich das immer zwischendurch entspannt. Dann spüre ich auch immer wieder, das ich als Ganzes noch da bin und lebe. Ich merke dann auch, dass ich hier nicht auf der Schlachtbank bin, sondern von freundlichen Menschen umgeben, die nur das Beste für mich wollen.
Trotzdem fühle ich mich nach einem Zahnarztbesuch total gerädert und meistens weiterhin nicht ganz am Boden, eher so außerhalb vom Körper. Wenn ich das dann irgendwann später bemerke, nehme ich mir wieder Zeit zum Atmen und mache Körperübungen um aus diesem Schock-Zustand herauszukommen.
Trauma und Stressfaktoren
Seitdem ich bei dieser wunderbaren und aufschlussreichen Embodied Trauma Online Konferenz teilgenommen habe, wurde mir noch klarer, dass ich wirklich Traumatisierendes erlebt habe und dass es einige Stressfaktoren in meinem jetzigen Leben gibt, die mich völlig aus der Bahn werfen. Deshalb möchte ich hier vorab noch kurz erklären von Trauma und Stress sind. Ich hoffe, dass dir das auch hilft, deine eigenen Erlebnisse besser zu deuten.
Gleich vorweg: Ich bin keine Ärztin oder Psychotherapeutin, und deshalb spiegelt diese Erklärung nur mein persönliches Verständnis der Dinge wider.
Was ist Trauma?
Die offizielle Definition von Trauma lautet so:
Der Begriff Trauma (griech.: Wunde) lässt sich bildhaft als eine "seelische Verletzung" verstehen, zu der es bei einer Überforderung der psychischen Schutzmechanismen durch ein traumatisierendes Erlebnis kommen kann. Als traumatisierend werden im Allgemeinen Ereignisse wie schwere Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen bezeichnet.
Was wahrscheinlich allen von uns klar ist: körperliche und seelische Gewalt sowie drastische Erfahrungen wie Krieg, Folter oder schwere Unfälle, traumatisieren uns Menschen.
Aber auch weniger dramatisch erscheinende Ereignisse können im ungünstigen Fall dazu führen, dass ein Mensch in den Zustand intensiver Hilflosigkeit gerät und die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten hierdurch überschritten werden.
Hierzu finde ich auf Wikipedia folgende angeführt: persönliche Angriffe und Schmähungen, lang andauernde Manipulation, Mobbing, emotionaler Missbrauch, Vernachlässigung, körperliche Züchtigung, Scheidung oder Trennung, Konfrontation mit Traumafolgen als Helfer oder traumatisierendes Geburtserleben.

Also alles was jemanden wirklich zu viel, zu schlimm, zu schmerzhaft, zu überwältigend ist, kann ihr oder sein Nervensystem überfordern. Ab wann wir überfordert sind, hängt von ganz vielen Faktoren ab. Darüber schreibe ich noch ein anders Mal, das würde jetzt zu weit führen.
Stressfaktoren lösen Überforderung aus
Im Allgemeinen sind Stressfaktoren Reize, die in unserem Nervensystem Stress auslösen. Es gibt positiven Stress, der uns zu Höchstleistungen antreibt. Es gibt negativen Stress, der uns überfordert.
Wenn man bereits traumatischen Erlebnisse durchlebt hat, dann können bestimmte Reize ein total riesiges Gefühl von Überforderung oder von Entsetzen in einem auslösen. Eine Überforderung, die der Situation, die wir erleben, nicht angepasst ist. Und dieser Überforderung begegnen wir völlig automatisch mit bestimmten Bewältigungsstrategien.
In unserem Gehirn wird der Teil aktiviert, der fürs Überleben zuständig ist. Wir reagieren dann auf drei Arten auf diesen Stressfaktor: wir flüchten, wir kämpfen oder wir stellen uns tot.
Alle drei Reaktionen passieren unbewusst und laufen sehr schnell ab.
Eine Flucht-Reaktion wäre, aus der Situation schnell zu verschwinden. Es kann auch sein, dass man gar nicht erst zum Arzt geht, weil das Gehirn das als viel zu gefährlich einstuft. Wir schieben Termine ewig raus, wir gehen zwar zum Arzt und machen vor der Eingangstür kehrt oder wir stopfen unseren Kalender vielleicht mit ganz vielen anderen Termine voll, sodass sich der Arzt-Termin „leider“ nicht ausgeht.
Eine Kampf-Reaktion wäre mit dem Arzt oder den Assistent_innen Streit zu beginnen. Diese Art von Reaktion kann aber auch viel versteckter ablaufen: wir sagen dem Arzt zum Beispiel wie er seine Arbeit machen soll. Auf diese Weise versuchen wir die Kontrolle zu behalten. Wir streben Perfektion an und jede Kleinigkeit, die nicht perfekt scheint, stört uns.
Sich tot stellen heißt sich ausliefern oder sich wehrlos machen um den Gegner zum Aufgeben zu bewegen, da man sozusagen selbst kein Gegner mehr ist. Man könnte beim Arzt immer Ja-sagen, einfach damit es schnell vorbei ist. Oder, wie in meinem Fall, abwarten bis es vorbei ist und den Körper dabei nicht mehr spüren.

Zum Zahnarzt zu Silvester
Zurück zu meinem traumatischen Erlebnis, welches mich aufhorchen ließ und mir meine automatischen Verhaltensmuster bei Ärzten und Ärztinnen nochmals vor Augen führte.
Zu Weihnachten hatte ich leichte Zahnschmerzen, die dann aber beständig immer schlimmer wurden. Mein Zahnarzt war auf Urlaub, deshalb ging ich in die Zahnklinik. Dort meinte die Zahnärztin, ich könnte noch abwarten, vielleicht beruhigt sich der Zahn. Leider war das nicht der Fall und ich hoffte an den Folgetagen mit Schmerzmitteln die Feiertage überbrücken zu können bis mein Zahnarzt wieder Dienst hatte.
Doch am 31.12. ging es dann gar nicht mehr, die Schmerzmittel hatten keine Wirkung mehr und ich durchlitt echt die schlimmsten Schmerzen meines Lebens. Ich konnte aus Verzweiflung nur mehr weinen und zitterte schon am ganzen Körper.
Also fuhr ich am Silvesterabend zum einzigen diensthabenden Zahnarzt in Wien. Ich und ein paar andere schmerzgeplagte Menschen saßen im Warteraum. Ein junger Mann, der es bereits hinter sich hatte, sagt zu mir „Gleich ist es vorbei.“ So lieb.
Am Arzt-Sessel weinte ich schon vor der Behandlung und hatte solche Panik. Ich wusste aber, dass es sein musste. Der Schmerz-Höhepunkt dieser ganzen Odyssee war dann erreicht, als aufgebohrt wurde. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr beruhigen, der Arzt machte so schnell wie möglich alles fertig, die Assistentin war sehr nett und redete ruhig auf mich ein. Ich schluchzte, zitterte, schwitze, und war völlig überfordert.
Dann ließ der Schmerz nach – was für eine Erleichterung, was für eine Erlösung. Ich war so dankbar, dass ich in einer Stadt war, in der auch am Feiertag ein Zahnarzt arbeitet!
Panik erlauben führte einen Schritt weiter Richtung Trauma-Aufarbeitung
Dieses dramatische und schmerzvolle Erlebnis hat mir gezeigt, wie sich eine Panik-Attacke anfühlt und dass ich nach all meinen traumatischen Geschehnissen bei Ärzt_innen, noch viel mehr auf mich achten muss als ich dachte.
Ich habe nun auch verstanden, dass ich beim Arzt in diesem dissoziierten Zustand gar nicht die Hand heben kann, ich kann nur stimmliche Geräusche machen oder wegzucken. Die Hand ist gefühlt viel zu weit weg um angesteuert zu werden. Das heißt, beim nächsten Mal werde ich meinen Arzt vorab sagen, dass er bitte auf mein wegzucken und Geräusche machen reagieren soll, die Hand schaffe ich wahrscheinlich nicht.
Klar geworden ist mir auch, dass das "Kopf einziehen und durch" Verhalten ein Flucht bzw. Tot-Stellen Reaktion ist. Nicht wirklich eine gesunde und erwachsene Handlungsweise. Ich trainiere mein Gehirn dadurch weiterhin darauf, dass Arzt-Besuche per se schrecklich sind. Ich bleibe in der Gedankenwelt in der kein Arzt empathisch und wohlgesonnen ist. Es ist eine Welt in der ich dem Zahnarzt ausgeliefert bin. Und das stimmt nicht. Ich bin nämlich kein Kind mehr, dass nicht weiß, wie es sich verhalten soll und welches Angst vor diesen Erwachsenen mit ihren Gerätschaften hat. Ich bin erwachsen und ich kümmere mich aber jetzt so wirklich um mich und meine Gesundheit. Yeah – Verantwortung!

Nimm auch du deine Gesundheit selbst in die Hand nehmen. Hier meine Tipps für dich und dein bewusstes Umgehen mit Ärzten.
6 Tipps wie du trotz Angst beim Zahnarzt entspannt bleibst
Nimm dich selbst wichtig: Achte auf dich und deine Bedürfnisse, auch wenn das im ersten Moment peinlich ist. Es könnte sein, dass du einfach nur jemanden brauchst, der oder die dich begleitet und für dich da ist Es könnte sein, dass du öfter eine Pause brauchst, wenn du behandelt wirst. Nimm sie dir.
Werde dir über deine Muster klar und ändere deine Einstellung: Denke darüber nach, wie deine Arzt-Besuche bisher abgelaufen sind. Wie hast du dich verhalten? Welche der drei Stress-Reaktionen kommt immer wieder zum Vorschein? Überlege, was dir dadurch entgeht. Kannst du durch dein Verhalten deine Gesundheit und den Arzt-Besuch positiv beeinflussen? Wenn nicht, was müsstest du an deinem Verhalten und deiner Einstellung ändern? Siehst du einen Arzt als Gefahr, als Feind, als allmächtig? Ist die Ärztin wirklich so?
Achte auf deine Atmung und bleib im Moment: Versuche immer wieder dich auf deinen Körper und deine Atmung zu fokussieren. Nimm bewusst einmal einen tiefen Atemzug, versuche Anspannung sozusagen auszuatmen. Hol dich mit der Atmung in den Moment. So kannst du vermeiden in eine althergebrachte Reaktion zu rutschen. Schaue dich bewusst um: was siehst du? Gleite mit deinen Augen durchs Wartezimmer, schau dich im Behandlungsraum um, was siehst du? Das hilft deinem Nervensystem zu erkennen, dass es sicher ist und holt dich auch aus Gedankenspiralen heraus.
Erzähle dem Arzt von deiner persönlichen Geschichte: Sprich deine bisherigen schwierigen Erlebnisse an. So kann der Arzt deine Handlungen und deine Gefühle (die er auch wahrnehmen wird) besser interpretieren und darauf reagieren.
Sei dir klar darüber, dass du Rechte hast: Du hast das Recht darauf, wie ein fühlender Mensch behandelt zu werden. Du hast das Recht auf Augenhöhe behandelt zu werden. Du hast das Recht, dass auf dich und deine Ängste eingegangen wird. Sprich an, wenn du das Gefühl hast, dass du wie ein Stück Fleisch behandelt wirst. Versuche den Menschen im Arzt zu erreichen und falls da nichts zurückkommt, dann würde ich mir jemand anderen suchen. Suche dir unbedingt einen empathischen Arzt oder Ärztin, es gibt sie!
Gib Feedback: Wenn du das in der Situation selbst nicht schaffst, dann gib später Feedback. Ansonsten wird der Arzt an seiner Art zu behandeln nie etwas ändern und dann werden auch andere Menschen wie du leiden, obwohl sie und du eine professionelle und aufmerksame Behandlung verdienen.
Wie sind deine Erfahrungen mit Ärzt_innen? Hast du noch weitere Tipps?
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Weiterführende Links:
Mehr über Trauma erfährst du zum Beispiel hier:
Embodiment Podcast: Beginners guide to trauma - special episode with Mark Walsh
Vor allem für Mütter interessant: Karine Bell hat Videotrainings zum Thema Emotional Triggers:
Steve Haines hat ein wunderbares kleines Büchlein über Trauma geschrieben und illustriert. Das gibt es mittlerweile auch auf Deutsch.